Bei „Körper-Haltung“ denken die meisten an etwas Statisches. Wenn wir uns im Spiegel ansehen, stehen wir still und betrachten unsere Haltung. Doch diesen Stillstand gibt es gar nicht, solange wir leben !
Körperhaltung ist ständige Bewegung, sie ist eine kontinuierliche dynamische Aktivität. Der Grund: Wir arrangieren uns in jedem Moment neu mit der Schwerkraft.
Stillstand gibt es nicht im lebendigen Körper. Alles bewegt sich ständig, bis tief hinein in jede Zelle. Überall ein Fließen und Pulsieren, Ausdehnen und Zusammenziehen. Mit jeder Atmung werden die Rippen aufgefächert, Organe verschoben. Schon hierauf muss unser Körper in seiner Haltung reagieren. Und mit jedem Schritt wie jeder anderen größeren Bewegung müssen sehr viele Bereiche des Körpers koordiniert zusammenspielen.
Körperhaltung ist also niemals statisch und abgeschlossen, sondern verändert sich fortlaufend, im Bruchteil einer Sekunde. Sie ist ein komplexes Zusammenspiel, dessen wir uns kaum bewusst sind. Äußerlich mögen die feinen, kleinen, ausrichtenden Bewegungen - zum Beispiel im Stehen - kaum erkenntlich sein, weil die großen äußeren Muskeln daran wenig beteiligt sind. Doch tief im Inneren arbeiten viele kleine Muskeln und Faszien im Zusammenspiel mit dem Nervensystem und dem Gleichgewichtssinn daran, unseren Körper auszurichten und zu stabilisieren, damit wir uns durchs Leben bewegen können, ohne ins Wanken zu geraten oder gar zu stürzen.
was macht eine gesunde Körperhaltung aus?
Bei einer ausgewogenen, gesunden Haltung spielen alle Segmente des körpers so zusammen, dass in der Aufrichtung möglichst wenig überflüssige Spannung entsteht. Dann muss der Körper nicht mehr gegen die Schwerkraft ankämpfen, sondern ist im besten Fall sogar unterstützt von ihr. Bewegungen werden leichter, fließender und benötigen weniger Energie. (siehe Rolfing und Schwerkraft)
Das heißt zum Beispiel im Sitzen wie im Stehen:
- Sie können sich aufrichten ohne Mühe (z.B. ohne die Schultern nach hinten ziehen zu müssen).
- Ihre Vorderseite ist lang und offen, so dass die Atmung frei fließen kann. Auch Im Sitzen sind die Verdauungsorgane dann nicht "eingequetscht", wie das oft der Fall ist.
- Im Stehen spüren Sie Ihre Füße und Beine als stabile Unterstützung. Möglichst ausgewogen rechts und links. Nur dann können Sie den Oberkörper entspannt auf Ihrer Basis ausrichten und der Kopf balanciert auf der Wirbelsäule. Der Schultergürtel ist frei und kann sich "gemütlich" auf dem Brustkorb ablegen.
- Beim Gehen verlieren Sie die Länge auf der Vorderseite nicht.
- Von der Seite gesehen - im Stehen - befinden sich Knöchel, Knie, Becken, Schultern und Ohren in etwa in einer "Lot"-Linie.
Das sind einige der Voraussetzungen für eine gesunde Körperhaltung, die wir beim Rolfing fördern und unterstützen wollen. Es geht hier nicht darum, den Körper in eine Haltung zu zwingen - im Gegenteil. Der Körper bekommt mehr Optionen, hat freie Wahl, und er sucht sich meistens die beste Option aus :-)
Grafik: Rolfingverband Deutschöand (RVD)
Alltägliche Gewohnheiten prägen die Haltung
Kein Mensch ist dazu verdammt, mit dem Älterwerden schief durch die Welt zu laufen, mit all den teils schmerzhaften Konsequenzen. Klar, unsere Körpergewebe speichern irgendwann immer weniger Wasser und sind weniger geschmeidig - bis zu einem gewissen Grad ist das unvermeidbar. Aber unsere alltäglichen Gewohnheiten spielen eine weitaus entscheidendere Rolle. Wie wir uns im Lauf unseres Lebens bewegen oder eben NICHT bewegen, was wir essen oder NICHT essen, wie erholsam wir schlafen oder NICHT schlafen. Lebensweise also. Epigenetik also.
Jetzt mögen Sie sagen, mein Alltag verlangt es nun mal, stundenlang am Computer zu sitzen oder in der Arbeit andere einseitige, sich ständig wiederholende Bewegungen auszuführen. Das stimmt, und es ist traurig, dass der Arbeitsalltag der meisten Menschen mittlerweile den Bedürfnissen des Körpers nach abwechslungsreicher Bewegung nicht mehr gerecht wird. Unsere Lebensweise ist nicht mehr artgerecht! Dennoch, wir können gegensteuern, und spätestens wenn Schmerzen auftauchen, ist es höchste Zeit dazu. Schon die paar Tipps, die ich Ihnen bei den Sitzungen gebe, können einen Unterschied machen. Und ja, vielleicht ist es mühsam, nach der Arbeit noch die eine oder andere Körperübung zu machen, eine kleine Yoga-Einheit oder ähnliches - anstatt sich gleich aufs Sofa zu lümmeln. Aber wir sollten es uns wert sein!
Andere Gewohnheiten sind vielleicht einfacher zu korrigieren. Blicken Sie beim Gehen oft nach unten, obwohl dort meist gar keine Stolpersteine liegen? Tragen Sie die Tasche immer über der gleichen Schulter? Ziehen Sie beim Sprechen häufig die Schultern nach oben? Sitzen Sie im Auto meist in gebeugter Haltung, so dass sich Ihre Wirbelsäule in einer C-Kurve befindet? Neigen Sie dazu, im Gespräch mit anderen Menschen den Kopf leicht schräg zu stellen?
Schon die kleinsten, scheinbar unbedeutenden Gewohnheiten können dauerhaft unangenehme Spuren hinterlassen. Eine der folgenreichsten Gewohnheiten heutzutage:
Das "Buckeln" über dem Smartphone. Welch immense Kräfte dabei wirken, ist wohl den wenigsten bewusst.
Je weiter Sie ihren Nacken beim Schreiben einer SMS, beim Chatten auf WhatsApp oder beim Googeln im Internet über das Telefon beugen, desto schwerer wiegt der Kopf.
In einer ausbalancierten Position ist der Schädel eines Menschen durchschnittlich etwa 5 Kilogramm schwer. Bei einem Neigungswinkel von 15 Grad zur Körperachse ziehen schon gut 12 Kilogramm am Nacken, bei 60 Grad sind es mehr als 27 Kilogramm!
Das ist einfache Physik.
Lernt man aber nicht in der Schule.
Fehl- und Schonhaltungen verfestigen sich
Unser Körper vergisst nichts von dem, was wir erleben. Im Lauf der Jahre sammeln sich allerlei Erfahrungen an, die unsere Haltung und Struktur aus dem Gleichgewicht bringen können. Bei Schmerzen, nach Verletzungen und Operationen nehmen wir Schonhaltungen ein, aus denen wir möglicherweise nicht mehr herauskommen. Selbst eine kleinere Fußverletzung hat immer Auswirkungen auf den gesamten Organismus, wenn wir eine Zeit lang nur das andere Bein voll belasten. Über das Becken und die Wirbelsäule bis hinauf zu Schultern und Nacken setzt sich das Ungleichgewicht fort. Je länger wir schief durchs Leben laufen, desto schwerer wird es, dieses Haltungs- und Bewegungsmuster wieder loszuwerden. Auch psychische Belastungen und Traumata hinterlassen deutliche Spuren.
Die Begründerin der Methode, Dr. Ida Rolf, hatte schon im vergangenen Jahrhundert all die Zusammenhänge erkannt, die ich geschildert habe. Sie hat in ihren letzten Lebensjahren in den 1970ern bei einer Podiumsdiskussion hoffnungsvoll vorhergesagt, dass all das sicherlich in den kommenden Jahrzehnten auch im medizinischen Mainstream und der Ausbildung von Ärzten ankommen würde. Leider ist es bisher nicht so gekommen. Sehr schade. Aber immerhin, es gibt ja uns Rolfer!
Der Körperwahrnehmung auf die Sprünge helfen
Es gibt Klienten, die zu mir kommen und sagen: "Ich fühle mich schief." Das kann nach einer Verletzung und Schonhaltung sein, nach einer Schwangerschaft oder nach einer anderen schwierigen Zeit im Leben. Es gibt aber auch viele Klienten, die mit Schmerzen kommen und sich nicht "schief" fühlen, obwohl Ihre Körperhaltung sichtbar aus der Balance geraten ist. Die Körperwahrnehmung ist sehr unterschiedlich.
Neben der manuellen Arbeit an den Faszien ist die Verfeinerung der Körperwahrnehmung ein wichtiges Element beim Rolfing. Die eigene Wahrnehmung Ihres Körpers zu fördern, ist mir und ist allen Rolfern ein wichtiges Anliegen. So kann Rolfing sehr viel nachhaltiger wirken. So können Sie selbst aktiv Ihr Wohlbefinden auf Dauer positiv fördern.